Festansprache zur Ausstellungseröffnung 150 Jahr Deutsche Sozialdemokratie in der Barockscheune, Volkach, am 12.Juli 2013
Vielen Dank, dass ich hier bei meinem Ortsverein zu 150 Jahre SPD reden darf. Ich möchte nicht über 150 Jahre in Kurzfassung reden, sondern einige Schlaglichter betrachten und einige Gedanken an Euch/an Sie, weitergeben.
Als ich Mitte der 1970er Jahre der SPD beigetreten bin, ist mir die Anrede Genossin und Genosse sehr, sehr schwer gefallen. Ich fand das altbacken und nicht mehr angemessen. Heute denke ich darüber anders.
Es sind die Menschen, die ich in der SPD getroffen habe, die mich anders darüber denken lassen und es ist die Geschichte der SPD.
Heute kann ich sagen: Es fühlt sich gut an, einer Partei anzugehören, die für die Grundlagen der parlamentarischen Demokratie bereits gestritten hat, als andere noch das Schicksal der Nation bei den Hohenzollern oder anderen Fürsten gut aufgehoben glaubten und die Dreiklassengesellschaft hoch hielten.
Ich sage, es fühlt sich zweitens gut an, zu einer Partei zu gehören, die Bismarck die Kranken- und Unfallversicherung abtrotzte und damit den Grundstein des deutschen Sozialmodells legte. Andere predigten da noch gottgegebene Unterschiede der Menschen. Und es fühlt sich drittens gut an, einer Partei anzugehören, zu der so mutige freie und fortschrittliche Geister gehörten wie Ferdinand Lassalle, Otto Wels und Willy Brandt.
Die Rückschau über die 150 Jahre ist für mich nicht Anbetung einer Tradition im Sinne von Anbetung von Asche, sondern ist eine Tradition im Sinne von Schüren der Glut. 150 Jahre Sozialdemokratie – das ist
eine einzigartige politische Leistung vieler Millionen Mitglieder und Anhänger der SPD.
• Die SPD strebte nach Freiheit als andere die Freiheit noch ersticken wollten. • Sie lebte die Demokratie als andere sie als undeutsch und verbürgerlicht diffamierten. • Sie trat für gleiche Menschen- und Bürgerrechte ein, als andere die unterschiedliche Wertigkeit der Menschen propagierten. • Sie verteidigte die Demokratie, als andere Diktaturen errichteten oder ihre Errichtung zuließen. An diesem Punkt muss man sich an Otto Wels und seine Rede gegen das Ermächtigungsgesetz im deutschen Reichstag im März 1933 erinnern.
Immer, wenn ich im neuen Reichstag in Berlin dienstags in unseren Fraktionssaal gehe, komme ich an 94 Namen vorbei, vorbei an den Namen meiner früheren Kolleginnen und Kollegen, die gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt haben. Als ich das erste Mal dort vorbei kam, suchte ich nach dem Namen Fritz Soldmann. Wenn man so will, meinem Vorgänger, dem Reichstagsabgeordneten aus Schweinfurt. Sein Name war nicht unter den 94. Ich fragte mich weshalb und habe nachgeforscht. Er konnte nicht dabei sein, weil er bereits seit Januar 1933 inhaftiert war, wie viele andere Sozialdemokraten auch. Die Kommunistische Partei war schon verboten. Immer wenn ich an diesen Namen vorbei gehe, frage ich mich: Hätte ich auch so handeln können? Ich weiß es nicht.
Zurück zu Otto Wels. Ein einfacher Mann, Sohn eines Gastwirts. Von Beruf Tapezierer. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er einmal eine historisch derart bedeutende Rede halten würde. In der Geschichte der SPD waren es oft die so genannten kleinen Leute, die großes geleistet haben. Marie Juchacz, die erste Rednerin in der Weimarer Nationalversammlung nach Einführung des Frauenwahlrechts 1919, war Dienstmädchen und Schneiderin. Sie war die Begründerin unserer Arbeiterwohlfahrt. Willy Brandt, der Deutschland mit seinen Nachbarn aussöhnte, war unehelicher Sohn einer Konsumverkäuferin. (Ich will einfügen, als Willy Brandt zum ersten Mal als Kanzler kandidierte, und ich schon mich als SPD’ler outete, wurde mir vorgeworfen, dass Willy Brandt ja eigentlich Herbert Frahm hieß und ein Bangert war. Bangert ist das fränkische Synonym von Bastard, „der auf der Schlafbank der Magd gezeugte“, zwar ein Mensch, aber rechtlos). Man spürt, die Menschenrechte waren in meiner Jugend noch nicht in jedem Dorf angekommen. Mit diesen Beispielen will ich deutlich machen, dass es den meisten Frauen und Männern in der SPD nicht in die Wiege gelegt wurde, Politik zu gestalten. Doch wir erkennen auch, und das ist wichtiger, dass jeder Mensch, gleich welcher Herkunft, etwas Gutes und Großes aus seinem Leben machen kann, gemeinsam mit anderen und für andere Menschen.
Am 23. Mai 1863, also vor 150 Jahren, wurde im Pantheon in Leipzig der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet. Das war die Geburtsstunde der SPD. Und unsere wichtigste Leistung seitdem: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten machen aus der liberalen Idee von Freiheit das Projekt der sozialen Emanzipation – die Idee eines guten Lebens für alle Menschen durch Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Wir sagen deshalb auch mit Stolz: Die SPD ist seit 150 Jahren das Rückgrat der deutschen Demokratie. Sie ist die demokratische Konstante in der deutschen Geschichte. Weshalb betone ich das so? Ein Beispiel wird es Euch und Ihnen verdeutlichen. Am 23. März 1933 als die 94 Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz stimmten, stimmte Theodor Heuss, damals noch Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, für dieses Gesetz.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde er der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. So wie für Theodor Heuss bei der Abstimmung klar war, dass er einen nicht wieder gut zu machenden Fehler gemacht hatte, so gehört das Nein der sozialdemokratischen Abgeordneten zur Lebens- und Überlebensgeschichte der Demokratie in Deutschland. Sämtliche Beschränkungen, die die Reichsverfassung der Regierung und der Gesetzgebung auferlegt hatte, insbesondere die Grundrechte, waren bedeutungslos geworden. Es war ein einzigartiger Akt von Selbstentmannung, den dieser Reichstag – zugegebenermaßen unter heftigen Drohungen und Einschüchterungen - vornahm. Undenkbar, dass jemand heutzutage Bundespräsident werden könnte, der die Gewaltenteilung aufgehoben und der Exekutive, dazu noch der von rechts außen, einen Freibrief ausgestellt hat. Aber wir erinnern uns noch an die braune Vergangenheit von Kiesinger, von Filbinger und anderen. CDU und FDP waren nach dem Krieg ein Sammelbecken von Ex-Nazis. Aber keiner der braunen Ahnen von Angela Merkel hatte nach dem Krieg den Mumm, zu seiner Vergangenheit zu stehen.
Als die SPD 1963 ihren 100. Geburtstag feierte, fehlten die Repräsentanten des deutschen Staates. Heute in 2013 kommen wie selbstverständlich der Bundespräsident, der Präsident des Deutschen Bundestages und die Frau Bundeskanzlerin zu uns. Was zeigt uns das? Es zeigt, das das sozialdemokratische Fühlen und Denken in den letzten Jahrzehnten zum Fühlen und Denken der ganzen Nation geworden ist. Dies zeigt, dass die großen Momente der SPD zu großen Momenten der ganzen Nation geworden sind. Das müssen die Repräsentanten eines demokratischen Rechtsstaates respektieren und würdigen. Deshalb können sie an solchen Gedenkfeiern nicht fehlen. Darauf kann, darauf muss die Sozialdemokratie stolz sein.
Die deutsche Sozialdemokratie wird zu Recht immer mit dem Begriff Gerechtigkeit verbunden. Aber unsere Erfolge gehen weit darüber hinaus. Das wir ein Volk von gleichen Bürgerinnen und Bürgern sind?/werden? und keine Untertanen mehr sind, dafür hat die SPD gestritten und sich durchgesetzt. Wir sind hier auf dem richtigen Weg angelangt.
Für mich ist es aber immer noch ein Rückschlag, wenn bei uns Arbeitsplätze abgebaut und verlagert werden in Billiglohnländer, nicht etwa weil die Arbeitnehmer nicht mehr zu schwarzen Zahlen in den Kassen beitragen, sondern weil die Kapitalrendite den Kapitaleignern nicht mehr groß genug ist. Da kommt das Gefühl des Ohnmächtigen, des Untertanen wieder hervor. Wir spüren das, wenn wir gemeinsam mit denen auf die Straße gehen und demonstrieren. Das ist heute bei den Fehrer-Beschäftigten in Kitzingen so, das ist heute so bei den Rexroth-Beschäftigten hier in Volkach und Schweinfurt und das ist so bei den Kufi/Schaeffler-Beschäftigten so. Da ist Solidarität und Einsatz für unsere Arbeitsplätze ein Wesenszug unserer SPD. Für uns in der Sozialdemokratie ist klar: Arbeit ist keine Ware! Und hier trifft sich die SPD mit der katholischen Soziallehre und deren Protagonisten wie Friedhelm Hengsbach und auch Kardinal Reinhard Marx, München. Erinnern sollte man hier auch an das gemeinsame Sozialwort der Kirchen von 1997. Unser moralisch-kulturelles Selbstbewusstsein, der politische Anspruch und die sozialökonomische Forderung ist schon 1875 im Gothaer Programm nieder geschrieben: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur“. Der Kampf heute um sicherer Arbeitsplätze und um einen gesetzlichen Mindestlohn ist deshalb ein Markenkern von Sozialdemokratie.
Die deutsche Sozialdemokratie hat den demokratischen Rechtsstaat, die bürgerliche Demokratie, immer verteidigt. Trotzdem hat sich die 1. Demokratie auf deutschem Boden nicht lange gehalten. Gleichgültigkeit und Verachtung waren stärker als die Verteidigung der Demokratie.
Demokratie ist der Feind der unkontrollierten Macht, Demokratie ist der Feind der Mauschelei, Demokratie ist der Feind der Korruption und der politischen Bereicherung. Aber: Demokratie kommt nicht von ungefähr und entwickelt und stabilisiert sich nur, wenn es gehegt und gepflegt wird. Wer heute nach Ägypten schaut, sieht, wie schwer das ist mit der Demokratie.
„Wir wollen mehr Demokratie wagen“. Welcher Sozialdemokrat kennt diesen Satz nicht, gesprochen von Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Daraus sind die Mitbestimmungsrechte entwickelt worden. Die SPD wollte und will aber auch stärkere Beteiligungsrechte bei allgemeinen politischen Fragen. Deshalb steht in unserem Regierungsprogramm der Volksentscheid auf Bundesebene.
Ich nehme nur kopfschüttelnd zur Kenntnis, dass Angela Merkel in den Umfragen großes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Da sie und die CDU/CSU den Volksentscheid auf Bundesebene aber stets ablehnt, stelle ich fest, dass sie aber kein Vertrauen in die Bevölkerung hat. Sie misstraut der Bevölkerung. Wir haben gute Erfahrungen mit dem Volksentscheid in Bayern und vertrauen auch den Wählern außerhalb Bayerns.
Die Schwester der Demokratie ist die Freiheit. Willy Brandt: „Erst Demokratie macht den Raum frei, in dem Freiheit praktiziert werden kann.“ 1976 kämpfte Franz Josef Strauß gegen Willy Brandt, „Freiheit statt Sozialismus“ war sein Wahlkampfthema. Willy Brandt entwarf und begründete in der Ev. Akademie von Tutzingen im März 1976 das Thema „Freiheit durch Sozialismus“. Die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie ist die Geschichte ihres Kampfes gegen die Unfreiheit. Es gab bisher keinen unhistorischeren Slogan als Freiheit oder Sozialismus. Wichtige Stationen der Freiheit hat gerade diese Partei erstritten: das allgemeine Wahlrecht, der Kampf gegen das Hitlersche Unrechtsregime, das Verbot der Kinderarbeit in Deutschland, den 8–Stunden-Arbeitstag, die Mitbestimmung, das Frauenwahlrecht, der Kampf für anständige Löhne, das Mietrecht usw. usw. Unser Freiheitsbegriff geht weiter als der Freiheitsbegriff der Liberalen. Natürlich geht es uns auch um die persönliche Freiheit. Aber, wenn jeder das Recht hat unter den Brücken der Seine zu schlafen, dann ist das noch nicht die umfassende Freiheit. Zur Freiheit gehört auch frei sein von Not und Furcht. Die soziale Sicherheit gehört deshalb für uns auch zur Freiheit. Da springen die Liberalen viel zu kurz, meine ich. In der aktuellen Diskussion geht es oftmals um Freiheit oder Sicherheit, für uns geht es Freiheit und Sicherheit Freiheit schließt Überwachung aus. 17 Mio. Deutsche wurden über Jahrzehnte überwacht und hatten keine Freiheit. Heute diskutieren wir, ob wir überwacht werden von den USA, den Engländern usw. Der Spruch „wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“ regt mich dabei besonders auf. Alleine die Geschichte der DDR, die Menschen, die dort wegen nichts weggesperrt wurden, zeigt schon die Dummheit des Spruches. Wer alles über mich weiß, hat auch Macht über mich, kann mich erpressen, mich zu bestimmten Verhaltensweisen zwingen. Das war auch im 3. Reich so. Schauen wir unser alltägliches Leben an: es gibt Dinge, die wir vor unseren Eltern verbergen, vor unseren Kindern, vor unseren Partnern, vor unserem Arbeitgeber, vor unseren Krankenkassen, vor unseren Freunden. Und wer sich ein wenig mit Psychologie beschäftigt: wir schaffen es sogar, bestimmte Sachen vor uns selbst zu verbergen. Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben deshalb ausdrücklich vorgesehen, dass wir Geheimnisse vor dem Staat haben dürfen. Die Überwachung, die ja bereits seit langem läuft, 800.000 Kontrolleure sollen es sein, ist wie Radioaktivität. Zunächst merkt man nichts davon. Aber frei sein von Verdacht, ist eine grundlegende Freiheit. Was verdächtig, was normal ist, entscheiden Maschinen. Es ist die Aufgabe und die Verantwortung von freien Bürgern, ob und wie weit man so etwas zulassen will. Wir Sozialdemokraten wissen aufgrund unserer Geschichte, wo wir stehen: auf der Seite der Freiheit.
Die SPD ist jedoch nicht nur im Bund von herausragender Bedeutung, sondern hat auch das Fundament in Bayern gelegt. Wenn man heute die Leute auf der Straße fragen würde, wer hat den Freistaat Bayern erfunden, dann käme wahrscheinlich zu 80 Prozent die Antwort: Franz-Josef Strauß und die CSU.
Wir können sagen: Nein, das war bereits am 8. November 1918 der unabhängige Sozialdemokrat Kurt Eisner, der den Freistaat Bayern ausrief und Ministerpräsident wurde. Kurt Eisner ist damit der Gründer des Freistaats Bayern und die SPD stellte mit ihm den ersten Ministerpräsidenten. Wenn es die CSU und Franz-Josef Strauß gewesen wäre, dann würde in der bayerischen Vertretung in Berlin ganz gewiss eine Tafel mit einer entsprechenden Widmung hängen. So gibt es noch keine. Aber ich verspreche Euch: Wir werden das nachholen, wenn wir am 15. September die CSU ablösen können.
Eine zweite Persönlichkeit der bayerischen Sozialdemokratie ist von besonderer Bedeutung: Wilhelm Hoegner. 1887-1980. Er war Sohn einer kinderreichen Eisenbahnerfamilie, hatte Jura studiert, war Staatsanwalt und Richter, ging mit 32 Jahren in die SPD, mit 37 Jahren kam er in den bayerischen Landtag und beantragte gleich einen Untersuchungssausschuß über den Hitler-Putsch von 1923. Er wurde 1933 aus dem Staatsdienst entlassen und floh nach Österreich und in die Schweiz. Im Schweizer Exil schuf er eine neue bayerische Verfassung und prägte damit die Gestalt des modernen Bayerns. Wer sich heute die bayerische Verfassung anschaut, der liest die bayerische Verfassung wie sie von Hoegner verfasst wurde, z.B. die Gemeinwohlorientierung der Wirtschaft. Wir würden heute sagen: Setzt den Banken endlich Schranken. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer, der Natur- und Denkmalschutz, Volksbegehren und Volksentscheid und – der Mindestlohn. Und zum Dritten ist Waldemar von Knöringen zu nennen, einer der zentralen Figuren der BayernSPD. 1906-1971. Er war 16 Jahre lang Vorsitzender der BayernSPD und 24 Jahre Landtagsabgeordneter, davon 8 Jahre Fraktionsvorsitzender.
Man sieht aus diesen Mosaiksteinen, dass die BayernSPD in den 120 Jahren wohl selten an der Macht war, aber nie machtlos. Dass aus Untertanen Staatsbürger wurden ist ein historischer Verdienst der Sozialdemokratie. Ganz zum Schluss noch eine Rätselfrage. Von wem stammt dieses Zitat? „Ganz Bayern schaut in Dankbarkeit und mit großem Respekt auf die 120 Jahre der BayernSPD“. Wo wurde es gesprochen und von wem stammt das Zitat? Es war im Kolpinghaus in Regensburg am 8. Juli letzten Jahres und gesprochen hat es der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Besser kann ich es auch nicht sagen.